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Die akademische Freiheit in Ehren, aber …

Von unserer Generalsekretärin Petra Winkler

Wissenschaft soll frei sein, soll sich frei entfalten können. Das ist seit alters her ein hehres Prinzip, man denke nur an die sieben freien Künste im Mittelalter, die septem artes liberalis. Die Akademische Freiheit heutiger Ausprägung umfasst die Freiheit der Forschung, die Freiheit der Lehre, die Freiheit der Meinungsäußerung, den Schutz vor Zensur und Repressalien und nicht zuletzt die Selbstverwaltung der Hochschulen, um interne Angelegenheiten selbst und ohne wirtschaftliche oder politische Einflussnahme von außen zu regeln. Ziel und Zweck der Akademischen Freiheit ist, die offene Diskussion, kritisches Denken und den Fortschritt des Wissens zu fördern und damit zu einer freien und offenen Gesellschaft beizutragen. 

So weit, so gut, aber in den letzten Jahren scheint diese Freiheit auf seltsame Art und Weise pervertiert worden zu sein. Das liegt vor allem an der Entwicklung ganz neuer Theoriegebilde in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Mit dem Konstruktivismus und dem Poststrukturalismus ging es los, Strukturen und Vorstellungen zu hinterfragen, Machtbeziehungen und Diskurse unter die Lupe zu nehmen und nahezu alles zu „de-konstruieren“. 

Alles nur noch aus einer Perspektive betrachten

Das war aber nur der Anfang. Bereits während meiner Studienzeit kursierte die Frage, warum beispielsweise in der Geschichts- oder in der Literaturwissenschaft hauptsächlich die „dwems“ (dead white European male) im Vordergrund stehen. Quasi: es wäre an der Zeit, afrikanische oder südamerikanische Denkerinnen und Autorinnen zu würdigen. Ich fand diese Forderung damals schon seltsam, denn wenn es solche Denkerinnen und Autorinnen mit entsprechenden Qualitäten gegeben hätte, wären sie ganz sicherlich bereits Gegenstand von Lehre und Forschung gewesen. Das Fehlen solcher Denkerinnen und Autorinnen wurde dann prompt damit erklärt, sie wären halt unterdrückt worden. Aha. Es gab aber doch auch „dwems“, die unterdrückt worden waren und dennoch als Denker oder Dichter berühmt geworden sind. Das wurde dann erklärt mit „strukturell“. Alles, was mit Argumenten nicht richtig diskutiert werden kann, wird dann automatisch in das ominöse und nicht-fassbare „Strukturelle“ verschoben. Das ist durchaus praktisch für Diskussionen, denn wenn man keine Argumente hat, kann dann gleich dieses „Strukturelle“ als (unwiderlegbares!) Totschlagargument dienen. 

Und weil diese „strukturelle“ Schuldzuweisung so wunderbar funktioniert, sind nach den Dekonstruktivisten und Poststrukturalisten weitere theorieproduzierende Trittbrettfahrer aufgesprungen. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Theorien, die den „weißen alten Mann“ und auch den Staat dahinter für stets und ständig schuldig erklären:

  • Diversity, Equity, Inclusion (DEI):
    Mit diesem DEI (für Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion) will die woke Welt vorgehen gegen Diskriminierung und Ungleichheiten in Bezug auf Geschlecht, Rasse, ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung und andere Merkmale. Nützlich um sich persönliche Vorteile zu verschaffen, denn eigentlich will man nicht gleich, sondern überlegen sein.
  • Critical Whiteness Theory:
    Diese „Theorie Kritischen Weißseins“ betrachtet Vorherrschaft und Privilegien als Grundlage für die Konstruktion von Rassismus; die Frage nach diesem „Weißsein” in Gesellschaften ist natürlich verbunden mit unsichtbaren Annahmen und Normen, die diese strukturelle Vorherrschaft unterstützen – also selbst wenn kein Rassismus zu sehen, ist er irgendwo doch vorhanden (aber natürlich niemals gegen Weiße).
  • Postkolonialismus:
    Im Postkolonialismus geht es darum, die Auswirkungen und Folgen der Kolonialisierung auf Kulturen, Identitäten und Machtstrukturen in den Nachwirkungen der Kolonialherrschaft zu analysieren – seltsam nur, dass man meist die Folgen in afrikanischen Ländern betrachtet, aber erfolgreiche Staaten in Asien (wie z.B. Singapur) völlig außer Betracht lässt.
  • Kritische Theorie:
    Welche Wechselwirkung gibt es zwischen Macht, Kultur und Gesellschaft? Auf dieser Spielwiese tummelt sich die Kritische Theorie – ob sie auch sich selbst gegenüber kritisch ist?
  • Sozialkonstruktivismus:
    Es wird wissenschaftlich festgestellt, dass soziale Realitäten und Identitäten allesamt nur konstruiert und durch soziale Interaktionen geformt werden – auch hier ist es natürlich die Gesellschaft, die an allem schuld ist!
  • Feministische Theorie:
    Untersucht schon seit geraumer Zeit die Geschlechterverhältnisse, Geschlechteridentität sowie die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Geschlechterungleichheit. Als Randbemerkung: die im Grundgesetz verankerte GleichBERECHTIGUNG reicht hier nicht aus, es braucht unbedingt die GleichSTELLUNG, alles andere ist grundsätzlich ungerecht!
  • Queer-Theorie:
    Hier geht es um die großen Fragen der sexuellen Identität, Geschlechtsidentität und Sexualität – und nicht zuletzt um heteronormative Vorgaben und Zwänge in Gesellschaft und Kultur. Gewissermaßen sei die Gesellschaft zu stark geprägt von dem Konzept männlich und weiblich bzw. heterosexuell und übt damit Druck aus gegenüber all denen, die mit diesem binären Fühlen ein Problem haben.
  • Kritische Rassentheorie (Critical Race Theory):
    Folgt strikt akademisch der Prämisse, dass Rassismus in Institutionen eingebettet ist und dass soziale, politische und wirtschaftliche Strukturen rassistische Ungleichheiten „re-produzieren“ – eigentlich ist das Ergebnis schon im Vorfeld festgelegt; anderslautende Ergebnisse sind ideologisch nicht zu erwarten.
  • Globalisierungstheorie und Subaltern Studies:
    Ausbeutung und „marginalisierte Gruppen“ überall? Ähnlich wie beim Postkolonialismus geht es auch bei der Globalisierungstheorie um die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der globalen Vernetzung und Abhängigkeiten – im Zweifelsfall ist immer die westliche Welt oder der globale Norden schuld!

Hier zeigt sich das grundlegende Problem: denn eigentlich soll Wissenschaft ergebnisoffen an die jeweiligen Fragestellungen herangehen. Wir haben inzwischen aber „Wissenschaft“, die gar nicht mehr offen an ihre Fragen herangeht, mittlerweile geht es nur darum, Argumente und „Beweise“ zu finden, die ideologisch opportun sind. Gegenbeweise werden nicht zugelassen, das könnte ja das ideologische Gedankengebäude stören. 

Wissenschaft mit Moralismus?

Ob in der Soziologie, in Kulturwissenschaften, „Gender Studies“ oder anderen Fachgebieten: überall werden Studenten (ja, hier steht das generische Maskulinum, das für alle Geschlechter gilt) mit diesen Theorien – oder besser gesagt: Ideologien – indoktriniert. Freiheit der Forschung und der Lehre? Nur noch in begrenztem Maße! Denn alles, was diese Theorien in Frage stellt, wird als „böse“ erklärt. Eigene Ansichten, die der universitären Mehrheitsmeinung widersprechen? Das darf nicht sein. Der Moralismus hat Einzug gehalten in die Wissenschaft. So funktioniert Wissenschaft aber nicht. 

Die Akademische Freiheit wurde in den letzten Jahren durch unterschiedliche Theorien viel zu stark begrenzt und braucht eine neue Freiheit. Kritisches Denken ist wichtig – aber es muss kritisch gegenüber allen Denk-Richtungen sein! 

In den letzten Jahren ist der Eindruck erwachsen, dass kritisches Denken nur noch darauf zielt, unsere heutige Gesellschaft zu diskreditieren, indem ihr pauschal strukturelle Ungleichheiten oder Ungerechtigkeiten vorgeworfen werden. Unsere Gesellschaft braucht allerdings nicht allein kritisches Denken und noch mehr Lehrstühle für diese sozialwissenschaftlichen Fragen – stattdessen brauchen wir viel mehr Forschung und Wissen auch im Bereich der MINT-Fächer. Der wissenschaftliche Prozess muss sich daher der gesellschaftlichen Diskussion stellen. 

Wenn es nur noch „Gut“ und „Böse“ gibt

Bevor jetzt der Einwand kommt, die akademische Welt müsse sich diesem Diskurs nicht stellen, so sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, mit welchem vorauseilenden Gehorsam die akademische Welt Anfang der 1930er Jahre die Machtergreifung der Nazis begrüßt und befördert hat. Das zeigt, dass nicht alles, was aus der akademischen Gedankenwelt kommt, die Gesellschaft auf einen guten Weg bringt. Es wurden in der Vergangenheit auch schon schlechte Wege eingeschlagen. Und wenn man sich die antisemitischen, israel- und judenfeindlichen Demonstrationen an den Universitäten des Westens ansieht, so fragt man sich als normaler Bürger wirklich, ob diese stets den Westen und die weiße Gesellschaft anklagenden Theorien zu mehr Gerechtigkeit in der Welt führen. 

Das alles ist nur noch einem Schwarz-Weiß-Denken unterworfen. Es wird viel zu wenig analysiert und differenziert, sondern in der akademischen Welt gibt es inzwischen ein manichäisches Weltbild mit „Licht“ und mit „Finsternis“. Es scheint, als ob Dinge inzwischen viel zu reflexartig und ohne nachzudenken betrachtet und bewertet werden. Das ist der falsche Weg. 

Kritisches Denken sieht anders aus. Kritisches Denken heißt, lieb gewonnene Ansichten und Meinungen auch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Kritisches Denken heißt, sich selbstkritisch zu hinterfragen. Alles andere ist ideologisches Denken, das sich mit dem Etikett „kritisches Denken“ beklebt. Lasst uns doch zu echter akademischer Freiheit zurückkehren und auch wieder ein Denken zulassen, das nicht den vorherrschenden Theorien und Ideologien entspricht.

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